Warum gruseln wir uns gern?
Im Kino brechen Blockbuster wie „Es“ alle Rekorde. Auf dem Jahrmarkt geht es am liebsten in die Geisterbahn und auch beim Fernsehen fällt die Wahl gerne auf ein Programm, das für Gänsehaut sorgt. Ohne Zweifel, das Unheimliche zieht Menschen in ihren Bann. Gruselige Orte und haarsträubende Geschichten am Lagerfeuer faszinieren schon Kinder und lassen auch Erwachsene nicht außen vor.
Der Reiz der Angstlust
Schuld daran ist ein altes Handlungsmuster, das die Menschheit seit jeher kennt. Babys und Kleinkinder sind zunächst hilflose und unsichere Wesen, für welche die Welt bedrohlich und überfordernd ist. Sie haben ein großes Bedürfnis nach Sicherheit und sind davon abhängig, dass ihre Eltern sie beschützen.
In dieser frühen Entwicklungsphase gehen Kinder eine tiefe Bindung ein, in der Regel mit der Mutter. Die Erfahrung der Geborgenheit stärkt das kindliche Urvertrauen.
Jenes Urvertrauen ist der Grundstein dafür, sich auf positive Weise mit der Umwelt zu beschäftigen – auch mit deren Gefahren. Kinder mit einem ausgeprägten Sicherheitsgefühl sind diejenigen, die sich später am meisten zutrauen.
Das Urvertrauen und die Sicherheit, welche es mit sich bringt, ist entscheidend dafür, wie offen man der Welt begegnet und wie man mit beängstigenden Situationen umgeht. Sie ist auch die Voraussetzung dafür, wie sehr später Erwachsene die Lust an der Angst genießen können.
Angstlust - die Mischung aus Angst und Lust.
Bei einem gruseligen Film gerät für einen kurzen Moment in Vergessenheit, dass eigentlich keine Gefahr droht. Das Bewusstsein bewegt sich zwischen dem Reiz der Angst und der Gewissheit, dass nichts passieren wird. Die körperliche Reaktion passt sich an.
Der Zuschauer einer beängstigenden Filmszene schlägt sich die Hände vor die Augen und wagt doch einen kleinen Blick durch die Finger hindurch. Es ist nicht möglich, etwas zu sehen und es gleichzeitig nicht zu sehen. Grenzen werden ausgetestet.
Von Abenteuern und Sicherheit
In einer Situation von Sicherheit und Geborgenheit besteht die Möglichkeit, gefahrlos zu erproben, wie der Umgang mit einer Bedrohung in der Realität aussehen könnte. Wichtige Erfahrungen werden gesammelt, ohne dabei tatsächlich in Gefahr zu geraten.
Im kuscheligen Bett die Nase in ein gruseliges Buch zu stecken bringt gleichermaßen Geborgenheit wie auch Schaudern mit sich. In den eigenen vier Wänden, hinter verschlossenen Türen, fällt es leicht, einen spannenden Kriminalfall zu verfolgen und das Böse im Menschen zu erkunden. Die Angstlust erregt den Zuschauer.
Wenn die Anspannung weicht, stellt sich ein Gefühl der Freude und Erleichterung ein. Das Wechselbad der Gefühle lässt uns die Aufregung erleben und zugleich genießen, da uns nichts passieren kann.
In jedem Menschen steckt sowohl ein Abenteurer als auch ein Angsthase. Schon Kleinigkeiten können das Gehirn in einen Alarmzustand versetzen. Adrenalin und Noradrenalin werden freigesetzt. Im Wechsel zwischen Spannung und Entspannung, Angst und Erleichterung, Freude und Leid werden körpereigene Opiate und Dopamin ausgeschüttet.
Das vegetative Nervensystem wird aktiv, der Körper bei bereitet sich auf mögliche Reaktionen vor. Weglaufen oder kämpfen? Sich verstecken oder dem Angreifer mutig in den Weg stellen?
In einem späteren Moment bewertet das Großhirn die Situation rational. Es war nur ein Fehlalarm, niemand ist in Gefahr.
Kinder und Jugendliche lieben den spielerischen Umgang mit Grusel und Nervenkitzel. Ihre Abenteuerlust erwacht. Wägen wir uns in Sicherheit, können wir spielerisch mit der Aufregung umgehen. Das Gruseln und die Lust an der Angst bieten einen Überlebensvorteil. Es ermöglicht ein Lernen aus einer sicheren Position heraus. Der Umgang mit bedrohlichen Situationen wird erprobt, in Gedanken durchgespielt, das Bewältigen körperlicher oder psychischer Reaktionen wird eingeübt.
Die Fantasie lässt dabei manch einen mutiger erscheinen, als er in Wirklichkeit wäre. Selbstverständlich würde man jedem Monster unerschrocken entgegensehen, stünde es tatsächlich vor einem. Ganz gleich, ob dies wahrhaftig der Fall wäre, das Gedankenspiel sorgt für mögliche Konzepte mit dem Umgang mit einer Bedrohung. Vielleicht ist es am Ende kein Monster, dem man sich stellen muss, sondern nur ein übel gelaunter Chef, dem man die Stirn bietet.
Die Furcht vor der Ungewissheit
Zu Halloween spielt Angstlust eine große Rolle. Es macht Spaß, sich gegenseitig zu erschrecken und neben der Lust an der eigenen Angst auch noch Schadenfreude zu empfinden. Das spätere gemeinsame Lachen sorgt für die nötige Entspannung. Nichts war echt, es war nur ein Scherz.
Das Ungewisse macht uns Angst. Im Berufsleben oder in Beziehungen ist es oft schwer, neue Wege zu gehen oder etwas zu wagen. Es ist nicht einfach, die eigene Komfortzone zu verlassen und sich neuen Herausforderungen zu stellen. Hierbei handelt es sich um sehr reale Ängste. Ungewiss ist, wie die Dinge sich entwickeln werden, ob getroffene Entscheidungen die richtigen sind. Reizvoll sind dagegen mögliche Erfolge.
Auch die Esoterik kennt das Wechselspiel von Angst und Neugier. Die Zukunft bringt Ungewissheit mit sich. Wahrsagerei und spirituelle Rituale schüren Ängste.
Ist es wirklich möglich, Kontakt zu den Toten aufzunehmen und wenn ja, möchte man denjenigen wiedersehen oder lieber die Vergangenheit ruhen lassen? Fragesteller beim Kartenlegen befinden sich im Zwiespalt, denn einerseits möchten sie ihre Zukunft erfahren, andererseits fürchten sie, von Unheil oder Schicksalsschlägen zu erfahren.
Kinder glauben meist noch an die Existenz von Hexen, Fabelwesen oder Monstern. Doch selbst Erwachsene genießen oft das Spiel mit dem Unbekannten. Ein kleiner Teil von mystischem Denken bleibt auch im Erwachsenenalter erhalten. Es spielt vor allem dort eine Rolle, wo Wissenschaft an ihre Grenzen gerät oder wo ein fester religiöser Glaube vorherrscht. Die Überzeugung, dass es weit mehr gibt, als wir bislang wissen und erklären können, gibt Raum für Spekulationen.
Kinder fürchten sich gelegentlich vor einem Monster unter dem Bett. Doch selbst wer sonst rational und abgeklärt denkt, muss gelegentlich feststellen, dass irrationale Ängste ihn übermannen. In der Ungewissheit der Dunkelheit scheint es plötzlich etwas zu geben, das auf einen lauert, gerade dann, wenn die Gewissheit vorherrscht, eigentlich alleine zu sein. Es gibt diese kleine Stimme im Kopf, die sich fragt: Was, wenn doch nicht?
Das Spiel mit der Angst bringt den Menschen an seine Grenzen, lässt ihn aber auch über sich hinauswachsen. Risikofreudigkeit kann bedrohlich, aber auch erfolgsversprechend sein.
Vielleicht begegnet man beim nächsten Faschingsfest einem Horrorclown mit anderen Augen, wenn einem bewusst ist, was man von ihm lernen kann.
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